In einer sehr persönlichen Veranstaltung bei uns am Kaiserin-Friedrich-Gymnasium wurde der Geschichte der Familie Rothschild gedacht, deren Schicksal aufs Engste mit der Stadt Bad Homburg und auch mit unserer Schule verbunden ist.
Madeleine Gerrish, Tochter der Holocaust-Überlebenden Marianne Schwab, geborene Rothschild, war gemeinsam mit der Historikerin Angelika Rieber (zugleich Vorsitzende der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit im Hochtaunuskreis) am 18. Juni zu Gast, um vor den Religionskursen der Einführungsphase über die bewegende Lebensgeschichte ihrer Mutter zu sprechen.
Marianne Schwab wurde im Jahre 1919 in Bad Homburg geboren, wo sie mit ihrem jüngeren Bruder Eduard eine behütete Kindheit erlebte. Die Familie Rothschild war integraler Bestandteil des gesellschaftlichen und religiösen Lebens der Stadt. Eduard war Schüler des damaligen Gymnasiums, unserer heutigen Schule. Mit dem Erstarken des Nationalsozialismus wurde diese Kindheit beendet. In der Nacht des Novemberpogroms 1938 wurden die Eltern Opfer antijüdischer Gewalt, die Wohnung verwüstet, die gesellschaftliche Existenz zerstört. Angesichts der eskalierenden Bedrohung sah sich Marianne gezwungen, Deutschland zu verlassen. Im März 1939 emigrierte sie gemeinsam mit ihrer Großmutter in die Vereinigten Staaten, während ihr Bruder Eduard zunächst nach Holland geschickt wurde.
Die Eltern blieben zurück und wurden 1942 nach Theresienstadt deportiert, wo sie wenig später starben. Auch Eduard überlebte nicht: Er wurde im Konzentrationslager Mauthausen ermordet. Marianne Schwab war die einzige Überlebende ihrer unmittelbaren Familie. Trotz der tiefen seelischen Verletzungen, die ihr die nationalsozialistische Verfolgung zugefügt hatte, bewahrte Marianne Schwab eine tiefe emotionale Verbundenheit mit ihrer Heimatstadt Bad Homburg. Gemeinsam mit ihrem Ehemann, dem aus Frankfurt stammenden Friedrich Schwab, kehrte sie seit den 1990er Jahren mehrfach nach Bad Homburg zurück, auch an das Kaiserin-Friedrich-Gymnasium, die ehemalige Schule ihres Bruders, um dort mit Schülerinnen und Schülern ins Gespräch zu treten. Der jüngste Besuch ihrer Tochter Madeleine Gerrish, begleitet von Angelika Rieber, war nicht nur ein bewegendes Zeugnis familiärer Erinnerung, sondern auch ein eindrücklicher Beitrag zur historischen Bildung.
In einfühlsamer Weise berichtete Frau Gerrish von der Lebensgeschichte ihrer Mutter und dem Trauma des Verlustes. Zugleich wurde in diesem Kontext die Bedeutung der Weitergabe familiärer Erinnerung durch die nachfolgenden Generationen evident. Die Ära der Zeitzeuginnen und Zeitzeugen neigt sich unwiderruflich dem Ende zu. Umso bedeutsamer ist es, dass Nachkommen wie Madeleine Gerrish deren Stimmen weitertragen, nicht als museale Rückschau, sondern als lebendiger Appell an Empathie, historische Verantwortung und zivilgesellschaftliches Engagement.
„Ich habe immer ein wenig Sehnsucht und Heimweh nach Bad Homburg“, bekannte Marianne Schwab einst. Dass diese Sehnsucht heute in Form von Begegnung, Erinnerung und Dialog an unsere Schule zurückkehrt, ist ein Geschenk und ein Auftrag zugleich.
Anne-Marie Holstein