Am 14. März 2017 kam der Schriftsteller Utz Rachowski zu uns an die Schule, um aus seinem Leben in der ehemaligen DDR zu erzählen und uns einen Einblick in sein literarisches Schaffen zu geben.
An der Lesung nahmen die beiden Deutsch-Grundkurse aus der Q2-Phase von Frau Dietrich und Herrn Hieger und die Deutsch-Intensivklasse von Herrn Fahrer teil, die im Landeskundeunterricht die Geschichte der ehemaligen DDR näher untersucht. Herr Rachowski gab zunächst einen kurzen Einblick in sein Leben: Er wurde am 23. Januar 1954 in Plauen/Vogtland geboren und wuchs in Reichenbach/Vogtland auf. Von 1960 bis 1968 besuchte er die Grundschule. 1968, zehn Tage nach dem Durchzug der Truppen des „Warschauer Pakts“, beginnt Herr Rachowski mit der Oberschule. Zu ersten politischen Konflikten kam es, als er mit 16 Jahren erstmals festgenommen wurde und sich einem mehrstündigen Verhör durch die Geheimpolizei („Stasi“) unterziehen musste. 1971 wurde Herr Rachowski schließlich wegen Gründung eines Philosophie-Klubs aus dem Jugendverband ausgeschlossen und mit einem generellen Schulverweis (Verweis von allen Oberschulen der DDR) belegt. Margot Honecker zeichnete dies ab. Danach war er für sechs Monate Bahnhofarbeiter und absolvierte in Glauchau/Sachsen eine Lehre zum Elektromonteur und trat seinen Grundwehrdienst an. Im Jahr 1977 legte Herr Rachowski sein Abitur an der Arbeiter- und Bauernfakultät in Freiberg/Sachsen ab und nahm ein Medizinstudium in Leipzig auf. Dabei wurde er kontinuierlich durch die „Stasi“ überwacht. Die Exmatrikulation erfolgte bei dem Versuch, auf ein Germanistikstudium umzuwechseln („eine parteiliche Haltung zu unserer Partei ist nicht ersichtlich“, schrieb ein namhafter Germanist nach dem Aufnahmegespräch). Danach arbeitete Herr Rachowski als Heizer und Haushandwerker in einem Leipziger Chemiewerk. 1979 kam es zur Verhaftung und Verurteilung zu 27 Monaten Gefängnis wegen „Herstellung, Vervielfältigung und Verbreitung von Hetzschriften in Versform“ sowie der Verbreitung von Texten von Jürgen Fuchs, Reiner Kunze, Wolf Biermann, Gerulf Pannach und Christian Kunert. Herr Rachwoski musste sechs Monate „Stasi“-Untersuchungshaft, teils in Einzelhaft, ertragen, dann folgten acht Monate Zuchthaus in Cottbus. Nach Intervention von Amnesty International und der besonderen Mühe von Reiner Kunze wurde Herr Rachowski 1980 aus der Haft entlassen, nachdem ihn die Bundesrepublik Deutschland freigekauft hatte. In Berlin studierte er Kunstgeschichte und Philosophie an der Freien Universität und war außerdem als Autor tätig. Mit Marianne Herzog war Herr Rachowski der einzige Schriftsteller der Bundesrepublik Deutschland, der es 1981/82 wagte, unter der Militärdiktatur in Polen in dieses Land zu reisen und sich nach inhaftierten Kollegen zu erkundigen und ihre gejagten Texte „mitzubringen“. Seine ersten Veröffentlichungen wie „Die Blicke der Nachbarn“ und „Erzählungen, so traurig wie Sie“ erschienen ab 1982. Nach dem Fall der Mauer kehrte Herr Rachowski sofort ins Vogtland zurück, hält seitdem aber seinen Westberliner Wohnsitz („für alle Fälle, wenn’s wieder mal so kommt“) aufrecht. In Sachsen war er Mitgründer und sieben Jahre lang Redakteur der Dresdner Literaturzeitschrift „OSTRAGEHEGE“ (bis 1999). Seitdem ist er als freier Autor mit Nebenberufen (seit 2003 Bürger- und Rechtsberater zur Rehabilitierung von Opfern der DDR-Diktatur im Auftrag des Sächsischen Landesbeauftragten für die Stasi-Akten) tätig.
Nach dem Einblick in sein bewegtes Leben zeigte uns Herr Rachowski Ausschnitte aus dem Dokumentarfilm „Jeder schweigt von etwas anderem“ von Marc Bauder und Dörte Franke, der das Leben der drei Staatsfeinde der DDR Utz Rachowski, Annegret Gollin und Matthias Storck thematisiert. Hierbei bekamen wir Einblicke wie Familienangehörige und die Personen selbst über ihre Vergangenheit in der DDR und das Erbe des Staatssicherheitsdienstes („Stasi“) denken. Um diese Thematik aufzuheitern, las er unter anderem aus seinem Buch „Miss Suki: oder Amerika ist nicht weit“, das seine Freundschaft zu einem Hund während eines Amerikaaufenthaltes thematisiert. Mit etwas ernster und nachdenklich werdender Stimme zitierte Herr Rachowski aus dem Erzählband „Namenlose“. In diesem Band sind ausgewählte Erzählungen Utz Rachowskis aus 20 Jahren versammelt. Sie sind autobiographisch angelegt, insofern sie jene Erfahrungen – Relegierung von der Schule, Knast, Abschiebung und inneres Fremdsein im Westen – verarbeiten. Ein Schicksal, das Utz Rachowski mit vielen ehemaligen Intellektuellen der DDR teilt. Im Anschluss an seine Lesung beantwortete Herr Rachowski die vielen Fragen der Schülerinnen und Schüler und wurde mit einem donnernden Applaus verabschiedet.
Klaus Fahrer