Das Bad Homburger Möbelhaus „Meiss“ erzählt seine traurige Geschichte - Die Schülerinnen und Schüler des Kaiserin-Friedrich-Gymnasiums nehmen an der siebten Stolpersteinverlegung teil
Andächtiger Operngesang der ukrainischen Sopranistin Daria Tymchenko begrüßt die Besucherinnen und Besucher sowie die Schülerinnen und Schüler zur siebten Stolpersteinverlegung am Agnon-Denkmal im Kurpark. Obwohl die Sonne lacht und der Morgentau im Kurpark aufsteigt, ist die Stimmung bedrückend. Heute werden sieben neue Stolpersteine für ehemalige jüdische Bad Homburger Familien gelegt. Das Möbelhaus Meiss und der ehemalige Hohlebrunnen unweit des Gymnasiums sind zwei wichtige Stationen auf der Reise durch das historische Bad Homburg der Nazizeit. Eröffnet wurde die siebte Verlegung der Stolpersteine am Agnondenkmal im Kurpark durch Stadtverordnetenvorsteher Dr. Alfred Etzrodt und Wolfram Juretzek, Vorsitzender der „Initiative Stolpersteine“. Etzrodt betonte, dass es ihm eine besondere Ehre sei, „heute als 1. Bürger dieser Stadt die siebte Stolpersteinverlegung zu eröffnen“.
Das Agnondenkmal selbst erinnert an Samuel Agnon, den ersten jüdischen Schriftsteller, dem 1966 der Literatur-Nobelpreis verliehen wurde und der mit seiner Familie von 1921 bis 1924 in der Kurstadt gelebt hatte. „Mit der Machtergreifung der Nationalsozialisten 1933 bahnte sich dann die Schreckensherrschaft an. Nach der Zerstörung der 1866 erbauten Synagoge in der Pogromnacht 1938 und der Deportation der letzten Bad Homburger Juden im Jahre 1942 hörte die jüdische Gemeinde auf zu existieren.“ Alle waren dem Terror hilflos ausgeliefert ohne Hilfe von Nachbarn oder Mitbürgern. „Erst wurde ihnen die Würde genommen, dann das Leben. Die Steine sollen erinnern an die Menschen, die in der Zeit des NS-Terrors von einem Unrechtsstaat verfolgt, ermordet oder deportiert wurden. Ihnen soll Würde und ein Gesicht zurückgegeben werden an dem Ort, wo sie gelebt haben“, sagte Etzrodt. Rabbiner Shalom Dov Ber Rabinovitz sprach ein Gebet auf Hebräisch, bevor die Besucherinnen und Besucher zu den beiden ehemaligen Wohnorten der jüdischen Mitbürger gingen.
Dieses Mal verlegte Künstler Gunter Demnig sieben neue Stolpersteine. Fünf vor dem ehemaligen Hotel „Englischer Hof“ in der Louisenstraße 98 zum Gedenken an Isaak Miltenberg und seine Frau Adelheid „Adele“ sowie ihre drei Kinder Selma Wolfes, Hermann und Albert Emil Miltenberg. Und vor der ehemaligen Pension „Villa Renaissance“ erinnern zwei Stolpersteine an Max Groß und seine Frau Margarete. Wer den Text auf den Stolpersteinen lesen will, muss niederknien wie der Erfinder, Künstler und Handwerker der Stolperstein-Aktion Gunter Demnig. Muss niederknien, um Namen und Zahlen aufzunehmen, Erinnerung an ein Leben und meist einen brutalen Tod in sechs bis sieben Zeilen. Eingraviert in eine Messingplatte, fest verbunden mit einem schlichten, kleinen, vierkantigen Stein. Die Aktion „Stolpersteine“ hatte der Künstler Gunter Demnig im Jahr 1990 ins Leben gerufen. Sie hat das Ziel, das Gedenken an Menschen wach zu halten, die in der Zeit des Nationalsozialismus durch Flucht, Deportation und Ermordung aus unserer Gesellschaft verschwanden. Zu diesem Zweck werden Steine mit einer Messingplatte in das Pflaster der Bürgersteige vor dem letzten selbstgewählten Wohnsitz von ehemals jüdischen Mitbürgerinnen und Mitbürgern verlegt. Inzwischen liegen Stolpersteine in über 1000 Orten in Deutschland und in zwanzig weiteren europäischen Ländern.
Die beiden 9. Klassen von Carine Brunk und Anne-Marie Holstein nahmen an der Veranstaltung teil, legten Rosen nieder und gedachten der Bad Homburger Familien. „Hier wohnte Isaak Miltenberg mit seiner Familie….“ lesen die Jugendlichen vor. Auch Doris Stennert erinnerte an das Schicksal der Familie Miltenberg. Metzgermeister Isaak Miltenberg, der 1867 in Köppern geboren wurde und in der Wallstraße eine Metzgerei betrieb, meldete am 15. Juni 1922 seinen Hotelbetrieb an und zog mit seiner Familie in eine Fünfzimmerwohnung im Haus. Er hatte das 1864 eröffnete Hotel „Englischer Hof“ gekauft, das ab 1914 unter dem Namen „Hotel National“ weitergeführt wurde. Das Gebäude wurde 1968 abgerissen, heute befindet sich dort Möbel Meiss. Bereits 1926 wurde der Hotelbetrieb infolge der Weltwirtschaftskrise wieder abgemeldet. Im September 1933 musste die Familie ihr Haus an Franz Dinter zwangsverkaufen. Der weit unter dem Wert entrichtete Kaufpreis wurde auf einem Sperrkonto bei der Reichsbank eingefroren. Isaak Miltenberg starb am 10. März 1940 in seinem ehemaligen Haus. Seine Frau und seinen Kindern gelang 1941 die Flucht in die USA. An das Schicksal von Max und Margarete Groß, die aus Schlesien und Pommern nach dem Ersten Weltkrieg nach Bad Homburg zogen, erinnerte Angelika Rieber. Die Basis ihres Lebensunterhalts bildete die Lederwarengroßhandlung von Max Groß in Frankfurt. In der Kurstadt betrieben sie die „Diätetische Kurpension Villa Renaissance“. Das Ehepaar wurde am 28. August 1942 ins Ghetto Theresienstadt deportiert. Er wurde dort am 16. Oktober 1943 ermordet, seine Frau am 31. Mai 1944 im Vernichtungslager Auschwitz.
Für die Schülerinnen und Schüler bekommen die Gräueltaten der Nationalsozialisten in Bad Homburg auch dank der Stolpersteine ein Gesicht. Sie sind einhellig der Meinung, dass die Verlegung der Stolpersteine eine sehr gute Aktion ist, der Menschen zu gedenken und Geschichte anfassbar und begreifbar zu machen. So findet das Gedenken nicht weitab an Mahnmalen oder Gedenkstätten statt, sondern in der Mitte des alltäglichen Lebens unserer Stadt. Am KFG organisiert Frau Holstein seit 2016 die Veranstaltungen mit der Initiative „Stolpersteine e.V.“. Dazu gehört auch, dass sich die Schülergruppen regelmäßig um die Pflege der in der Innenstadt verlegten Stolpersteine kümmern.